Nicht so wild – Hans-Jürgen Hafner, 2022

Dass (Punk-)Rock und Malerei irgendwie ganz gut miteinander „können“, ist, Ende 2021, dermaßen naturalisiert, dass man eigentlich nur darüber ein Wort verlieren möchte, dass beide, Rock und Malerei, jeweils so ihr Bündel mit sich schleppen. Zu Rock und Malerei passt, dass Totgesagte länger leben. Das kann und muss kein Vorteil sein. Gerade melden die Behörden die Verhaftung Christian Rosas, ein gefallenes Sternchen der Crapstraction, im Geist des Authentischen gemalter Rock’n’Roll für Models und alle die es werden wollen. Der Vorwurf: Fälschung, ausgerechnet von Arbeiten des einstigen Punk-Graphic-Art-Altmeisters und heutigen Midcult-Kunststars Raymond Pettibon. Die Selbstverständlichkeit, mit der uns die malende Rockerin, der rockende Maler in der Galerie um die Ecke, auf Instagram oder dem Sunset Strip begegnen, ist, eben, selbstverständlich.

Ende der 1970er Jahre brauchte es noch das „Wilde“ als zentrale Vokabel, die eine Verbindung zwischen Ton- und Bildkunst nicht so sehr als „Künste“ oder „Gattungen“ stiften sollte, sondern die dazu herangezogen wurde, um zwei entlang der traditionellen kulturellen Verwertungsweisen als „unterhaltende“ (oder kulturindustrielle) oder „ernste“ (oder bürgerlich-künstlerische) sozusagen kategorial getrennte Praxis- und Produktformen unter einen Hut zu bekommen, als letzter Schrei einer unabgeschlossenen Serie letzter Schreie. Der gemeinsame Nenner zwischen Punk und Malerei, Pop- und Hochkultur, war in ihrem jeweiligen „Wildsein“ als gewissermaßen inhärent vorhandenes Transgressionspotenzial zu finden – und Geile Tiere das dazu sprichwörtliche, wenngleich eher „queere“ als „rockige“ Bandprojekt der in der Kunstwelt als „junge Wilde“ bekannt gewordenen Künstler Luciano Castelli, Salomé, bürgerlich Wolfgang Ludwig Cilharz, und Teilzeit-Co-Performer Rainer Fetting. Kein Grund, in Panik zu geraten: eine neue, wilde Superkunst, die das Beste zweier Welten vereinen würde – oder die, in der Sprache von Plattenfirmen und Kulturbürokratie, das „Crossover-Potenzial“ voll ausgespielt hätte – ist aus dieser episodischen Melange nicht geworden. Auch nicht, als das relativ schnell aus der Mode geratene „Wilde“ unter mehr oder weniger bewusst subkulturell gehaltenen Bedingungen zweifach Richtung „Genialität“ und „Dilettantismus“ ausmutierte, egal, ob die disziplinär/institutionelle Trennung zwischen Bild- und Tonkunst bzw. die Trennung der Kunst vom Pop (oder „Volk“) je zu halten war. Ökonomisch funktioniert zweifellos, dass viele für wenige zahlen, speziell im Pop.

Der „neue Geist des Kapitalismus“, der die Welt seit rund vierzig Jahren durchweht, schert sich kaum um Philologie und sicher nicht um Geschichte. Auch daher umfasst die heutige Rede von der „künstlerischen Praxis“ selbstverständlich, dass, wer als Künstlerin_in arbeitet natürlich auch als Akteur_in in der Musik tätig sein kann oder sogar muss – idealerweise in der eigenen Band als Teil des individuell markierten künstlerischen „Projekts“ und positiv gefasst im Begriff der „künstlerischen Subjektivität“. Wobei Subjektivität mittlerweile vor allem meint, dass wir als Eigenmarke unserer selbst agieren und dabei sprichwörtlich „Alles“ – Kompetenz, Arbeit, Hobby, Ideal, Habitus, Identität, Erbe, ja das nackte Sein – als potenziell verwertbare Ressourcen an die Front werfen, in der alten, analogen und der neuen digitalen Welt – vergleiche: Crossover-Potenziale voll ausschöpfen. Schön wäre, wenn dabei wenigstens zwei drei Euro herumkämen, die Künstlersozialkasse damit zufrieden ist und wir uns die nächste Ausstellungsbeteiligung leisten können. Es sind diese für ein Leben als Künstler_in oder die individuelle Herstellung und/oder Verwertung kultureller Produkte nicht sonderlich förderlichen gesellschaftlichen, ökonomischen und institutionellen Abstraktionen, gegen die das individuelle, beharrliche Kunstwollen und -können allerdings nach wie vor behauptet werden muss. (Nebenbei: Blöd zudem das technologisch zu erklärende Kollateralproblem, dass ich Dich nicht länger nach Deiner Lieblingsplatte oder Deinem Leib- und Magen-Bild zu fragen brauche, wenn der Algorithmus meine Frage prognostiziert und Deine Antwort kennt. Schon die Überlegung ist eher… cringe.)

Eine Antwort, wie sich Musik und Kunst als professionell und/oder hobbyistische Aktivitäten zwischen Produktion/Arbeit und Konsum/Vergnügen aufeinander beziehen lassen, ist nicht so einfach zu geben. Musik und Kunst als Grundlage für jeweils nach eigenen Kriterien hypercodierte (und gleichermaßen „unerschwingliche“ wie „umsonst“ zu habende) Kulturware und notorisch überdeterminiertes Kulturgut (Dein Geschmack, mein Museum respektive meine Playlist) müssten darüber hinaus erst einmal so zugeschnitten werden, dass sich mit ihnen überhaupt sinnig verfahren lässt, ohne a priori zur Pose zu gerinnen.

Immerhin: das Attribut „wild“ fällt mir nicht ein, wenn ich Bilder von Benjamin Novalis Hofmann anschaue, was mich bei einem Typen, der sich zum einen auf Novalis bezieht – und dabei sicher nicht die Krautrocker meint – und zum anderen gern Motörhead-T-Shirts trägt, fast ein bisschen überrascht. Eher ist es der Eindruck des Konstruierten, Zusammengesetzten, vielleicht auch des Syntaktischen, was ich in den Bildern finde und was ein Blick auf über längere Zeitspannen hinweg entstehende Bilderserien und/oder Werkgruppen zusätzlich bestätigt. Und auch das kalkulierte und/oder augenzwinkernd in Kauf genommene „Schlechte“ als mehr oder weniger geglückte Übersetzung der (rock)musikalischen Unterbietung und kulturellen Negation von Punk als „bad painting“ fehlt mir in diesen Bildern, die sich andererseits nicht scheuen im emphatischem Sinne „Malerei“ zu sein und davon zu handeln, dass Malen ein sehr materialer und im gelungenen Fall zugleich bild- und kunstgebender Akt sein kann, ohne dass dabei automatisch interessante Bilder und/oder gute Kunst herumkommen.

Obwohl also so ostentativ Malerei, scheinen mir die Bilder dennoch nicht an einen an der Gattung ausgerichteten „Geschmack“ zu appellieren: weder auf der materialen und konzeptionellen noch auf der referenziellen oder diskursiven Ebene – während ein jedes Bild, trotz aller Arbeit in Serie, Form- bzw. Sinnzusammenhang und Werkkontext, dennoch einigermaßen stur auf sich selbst weist und so immer wieder die „Flucht von Alcatraz“ probiert, ohne die Häftlingsklamotten auszuziehen. Das ist eine Kunst, denn: Malerei ist ein historisch, institutionell und nicht zuletzt mit erheblichen Geldmitteln gut abgesicherter Knast, dem schwer zu entkommen ist, selbst durch besonders schlechtes oder bewusstes Nicht-malen. Da haben die Wächter ein besonderes Auge drauf.

Damit entziehen sich die Arbeiten zugleich den beiden aufeinander bezogenen Rastern, die den Status der Malerei im Kontinuum der so genannten „contemporary art“ bestimmen. Betrifft das eine Raster die Zeitgenossenschaft nicht nur repräsentierende sondern produzierende Kunst im Großen und Ganzen – für die Malerei als Praxis, die in Konkurrenz zu anderen, multimedialen, performativen, partizipativen oder aktivistischen, Praktiken steht, vergleichsweise wenig „dringend“ ist, während ihre gut dokumentierte longue durée als Bildmedium innerhalb und außerhalb der Kunst eher sogar störend wirkt –, hat das andere gleichwohl mit der spezifischen Rolle der Malerei als Technik, Gattung und Bildmedium innerhalb des Zeitgenössischen zu tun und wie etwas, das willentlich als „gemalt“ auftritt und zugleich generell seinen Anspruch Kunst zu sein geltend machen will, sich diese vertrackte Disposition zunutze macht.

Benjamins Bildern beleihen insgesamt eben nicht das „Wilde“, „Rockige“ oder die „badness“, sondern es geht in ihnen ausgesprochen diszipliniert und gerade, was Themen betrifft: Landschaft, Figur, Vedute etc., ein Stück weit akademisch zu. Das wird durch die serielle Arbeitsweise zudem noch verstärkt, wenn sie die Bildideen und -prozesse zu Genres oder Themen zu verfestigen und wieder zu verflüssigen hilft: gewissermaßen vom (Kampf-)Stern zur Figur, von der Landschaft zum Nugget.  Und gerade da, wo Malerei in ihrer pursten, gestenhaften Form auftreten darf – etwa in der Serie der formatgebundenen „Patches“ (2013), deren Komposition streng durch die Abmessungen der in der Fankultur des Heavy Metal sehr populären Aufnäher mit Band-Schriftzügen, Cover-Art etc. festgelegt ist – begegnen uns die offensichtlichsten Referenzen an populäre Musikkulturen, obwohl von der Malerei sozusagen eingeschlossen. Das passiert in einem sowohl malerisch sorgfältig eingehegten wie auch bildkonzeptionell gründlich kalkulierten „Take“, der unweigerlich auf die malerischen Mittel, Farbe und Auftrag, Geste und Motiv zurückwirkt. Dabei werden die einschlägig überbordenden Graphic-Art-Motive der zugrundeliegenden Patches von Bands wie Death, Iron Maiden oder Slaughter gleichermaßen pastos zugedeckt, farbig konterkariert und zugleich feingliedrig seziert, mit Schrift- und Skelett-Partikeln, die an die Bildoberfläche schwimmen – und durchaus im Sinne der musikalisch/symbolisch entworfenen und im Dauerkonflikt mit ihrer entweder zu großen oder zu geringen kulturindustriellen Reichweite zirkulierenden Gegenwelten, die Metal und Punk speziell seit Ende der 1980er Jahre in ihren extremeren Mutationen Death Metal und Grindcore anzubieten hatten. Ein Hinweis auch darauf, dass Disziplin – die es zweifellos in extremem Maß braucht, um bei, sagen wir „Regurgitated Guts“ von Deaths stilprägendem Album „Scream Bloody Gore“ angemessen die Sau rauszulassen – und Transgression keineswegs in einem Widerspruch zueinanderstehen, während geile Tiere seit jeher vergleichsweise einfach zu haben sind.

Hans-Jürgen Hafner

Ästhetische Metabolismen – Raphael Nocken, 2022

Seit zwanzig Jahren arbeitet Benjamin-Novalis Hofmann an einem Motivrepertoire und in Werkreihen, die anspielungsreiche Bezüge herstellen und die tradierte Unterscheidung zwischen Abstraktion und Figuration unsinnig erscheinen lassen. So fällt es schwer bei einem Text, der fast zwei Jahrzehnte seines Kunstschaffens in den Blick nimmt, nicht in Beschreibungs- oder Stilkategorien zu fallen, die nur notdürftig Halt gäben, im Zweifel sogar wichtige Aspekte vernachlässigen, ausklammern und insgesamt der Vielschichtigkeit eines so weitläufigen Oeuvres nicht gerecht würden. Aus diesem Grund verlassen wir besser den vermeintlich festen, aber auch relativ schmalen Boden bekannter Stilkategorien: Bad Painting, abstrakte Malerei, gegenständliche Malerei, gegenwartsbefreite Malerei – was könnten diese Begriffe uns für originelle und neue Blickweisen auf Benjamin-Novalis Hofmanns Arbeit eröffnen? Mag ja sein, dass es für eine schnelle Einordnung gut zu wissen wäre, ob der Künstler der postungegenständlichen Malerei zuzuordnen ist, aber wohl kaum weckt solch eine Begriffsbanalität Interesse daran, sich dem ästhetischen Denken des Künstlers auszusetzen und wirklich nachzuspüren, welchen Gehalt man aus diesem Denken jenseits der Sprache, dem „Denken in anderen Medien“ zu ziehen vermag. Aus dieser Überlegung heraus, entwickeln sich die folgenden Beobachtungen, die sich exemplarisch auf wenige Werkreihen beziehen, da in Benjamin-Novalis Hofmanns vielfältigem Werk sich dann doch alles auch wieder versiert ineinander verfranst.

Zu erkennen ist das offensichtliche Interesse am Geologischen, an der Materie, dem Staub und dem Boden und Mineral. Die Serie Interstellar zeigt neben großflächigen, verschwommenen Bildanteilen daraus sich hervorhebende runde Körper, die Erden, vielleicht ferne Sterne. Es sind abstrakte Formwerdungen, in weit changierenden Farben, die wenn überhaupt landschaftliche Assoziationen erlauben. Mineralisch-toxische Böden, die Anderes, Unkonkretes verbergen. Sind hier aktuelle Umweltkatastrophen gemeint? Auch wenn in den Serien-Titeln durchaus dystopisches Potenzial erklingt, so liegt es doch fern, dem Künstler Dystopisch-Visionäres in seinem Werk unterstellen zu wollen. Selbst heute noch, im 21. Jahrhundert, stellt sich die Forschung die grundlegende Frage, wie Materie in einem biologischen Sinne lebendig wurde, und darüber hinaus wird auch die Frage nach dem Ursprung des Lebens wieder einer genauen Prüfung unterzogen. Es ist schwierig, eine Frage nach dem Ursprung biologischen Seins zu stellen, wenn es doch den „einen“, den bestimmten (bestimmbaren) Ursprung wohl niemals gegeben hat. Wie soll dieser eine Moment, der niemals nur Einer gewesen ist, dessen Ursprung nicht an einem definitiven Punkt in der Zeit, als eine messbare Größe geschehen ist, ermittelt und verstanden werden, da es doch eher um ein Phänomen der Indifferenz, der Bewegung und Vielfältigkeit geht. Leben ist an vielen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten entstanden, womöglich sogar in getrennt voneinander existierenden Systemen. Einer der entscheidenden Aspekte der Geologisierung ist die Anerkennung von dem, was geologisches Leben genannt wird, womit die mineralische Dimension der Zusammensetzung des Menschen angesprochen wird. Denn tatsächlich reichen ja alle organischen Körper, menschlich-tierische, pflanzliche, pilzliche sowie bakterielle, sowohl durch deren Stoffwechselsysteme, als auch durch deren Vorfahren tief in das geologisch-mineralische System hinein. Bei Benjamin-Novalis Hofmann scheinen Farbkonglomerate, welche die Erden bilden, nie so recht zu wissen, wie sie sich in eine endliche Form bringen sollen. So bleiben die Farben immer verspult, rauchig und unbestimmt; miteinander verzahnt, doch nie so verbunden und vermischt, dass sich eine zusammenhängende Masse ergeben würde. Die Unbestimmbarkeit des Mineralischen, der Farbe, ist in diesen Werken ihr Wesenskern. Und diese „Verunklärung der verdinglichten Farbmasse“ offenbart sich wieder und wieder in Werkreihen. Sowohl in UTOPIA_LOST_IN_CHAOS, als auch in der Serie FUTURE_EDGELANDS – man beachte auch hier wieder die wunderschöne dystopische Klangfarbe der Titel – zeigen sich kräftige und strahlende Farbaufträge, die jedoch durch malerische Eingriffe an ihren Grenzen verwischt und so voneinander getrennt werden, dass sie eng verzahnt und doch isoliert voneinander sich das wackelige Bildmotiv teilen müssen. Was sehen wir denn da eigentlich, außer wilden Farbwolken (UTOPIA_LOST_IN_CHAOS) oder sich eng, vertikal aneinander reibenden Farbschichten (FUTURE_EDGELANDS), die ohne jeglichen Willen zur Formfindung einfach da sind. Mal verschwommen an den Rändern, dann mal mit schnellem Pinselstrich deutlich verwischt, ist die Malerei zu sedimentierten, erdgeschichtlichen Formkräften geworden.

Benjamin-Novalis Hofmanns Arbeiten erinnern Geschehnisse der letzten Jahrzehnte und insbesondere deren bildliche Spuren, die medial in Fotografien und Videobeiträgen verbreitet werden und eine Welt planetarer Katastrophen zeigen. Eine Vielfalt von Katastrophenbildern fügt sich zu einem neuen ästhetischen Bildfeld, einer Ikonologie des Anthropozän, zusammen. In dieser Bildsammlung finden sich gigantische, weltweite und nicht zu löschende Waldbrände, Todeszonen in Meeren, in welchen keinerlei Leben mehr möglich ist und die sich bildlich durch Massen toter Fische auf der Meeresoberfläche zeigen, Ölteppiche und brennende Müllkippen als bildliche Chiffren industrieller Verwüstung, aufkommende Pandemien, die weltweit Gesellschaften einem Veränderungsdruck aussetzen, der langfristige Folgen haben wird. Diese neuen Bild- und Welterfahrungsräume stellen radikale Herausforderungen an das kulturelle Selbstverständnis der Industriegesellschaften und deren Verhältnis zur „undenkbaren Welt“, vor allem zur Natur, dar und werden hierdurch permanent aufgefordert, „über die Menschheit in Bezug auf ihre reale, hypothetische oder spekulative Auslöschung nachzudenken“.

Dass seine Kompositionen sich assoziativ aber auch immer weniger mit einem Gegenstand unserer Realität verknüpfen lassen, zeigen die Arbeiten aus den zwei Serien SPIDERMAN und SILVER SURFER. Benjamin-Novalis Hofmann stellt die Figuren aus den Serien des Silver Surfer sowie des Spiderman isoliert im Raum dar, die Figuren stellt er vor eine leere oder monochrom gefärbte Fläche. Eine Synthese zwischen Bildraum und Gestalt wird erst im Verlauf der Serie erreicht. Als Vorstufen stellen organische Wucherungen die Verankerung der Figuration im Bildfeld dar. Wesentliches Merkmal dieses Antihumanismus ist die Überwindung einer traditionellen Bildnisdarstellung, wodurch es zu einer totalen Negation des Menschen als Persönlichkeit – im Gegensatz zum Objekt – kommt. Die gesamten wild ausfahrenden Kompositionen konzentrieren sich auf die Bildmitte, wobei wenig Wert auf die Verdichtung der Malmaterie gelegt wird. Benjamin-Novalis Hofmann erzeugt mit den Farben Schwarz und Rot eine starke Farbspannung, die das ganze Bildgefüge bestimmt. Diese Spannung zeigt sich auch deutlich in der Malweise. Mal wurde der Pinsel dick mit Ölfarbe getränkt, mal ist der Pinselduktus nur ganz schwach zu erkennen. Noch deutlicher zeigt sich die Spannung allerdings im Malakt: Benjamin-Novalis Hofmann bearbeitet die Leinwand quasi körperlich. Er presst den Pinsel mit Gewalt auf die Leinwand, sodass die Farbe an den Seiten des Pinsels hervorgedrückt wird. Er schabt und kratzt die Farbe teilweise weg, man kann Tuben- und Fingerabdrücke erkennen. Durch diese Malweise entsteht eine starke Dynamik in seinem Werk. Die ganze Komposition scheint von Leben erfüllt zu sein, sie scheint sich in ständiger Bewegung zu befinden. Beim ersten Anblick der Spiderman-Serie assoziiert der Betrachter sofort einen menschlichen Körper. Doch stellt sich hier die Frage, ob Benjamin-Novalis Hofmann wirklich ein Humanoiden darstellt. Es fehlen sämtliche, ein menschliches Wesen ausweisende Merkmale, es gibt keine festen Begrenzungen, weder der Farbe noch der Form. Es scheint vielmehr, dass Benjamin-Novalis Hofmann eine neue Realität geschaffen hat. Die Idee des organischen humanoiden ist zu erkennen, wird vom Betrachtenden auch sofort assoziiert, aber der Künstler hat eben kein Abbild der Wirklichkeit geschaffen, sondern ein dem humanoiden verwandtes Wesen. Das Abbild als ein ehemals repräsentatives pars pro toto von Welt wird als etwas Eigengesetzliches aufgebaut. Formelemente werden zerstört und die Figur ist im mimetischen Sinne nicht richtig auskonturiert wiedergegeben, die formalen Mittel finden keinen Bezug mehr zu Gegenständen, um eine Form identifizierbar wiederzugeben, die zeichnerischen Mittel erzeugen eigenständig neue Formbildungen. Das Bild löst sich also ab von dem Gegenstand und in der Grundform des Körpers werden naturanaloge Prozesse sichtbar gemacht. Indem er den Realitätscharakter seiner Bilder steigert, das Mineralisch-Organische seiner malerischen Formfindungen als Wesenskern seiner ästhetischen Metabolismen ausstellt, schafft er so Kompositionen von Präsenz und Kraft.

Das Werk des Malers Benjamin-Novalis Hofmann ist in seiner ästhetischen Qualität, der artifiziellen Bildästhetik, der religiösen-philosophischen Dimension und der Unbestimmtheit seiner Bedeutung im besten Sinne ein hermetisches Werk. Die Fragestellungen, welche er wieder und wieder aufgreift, sind durch die aufgelöste Linearität und Rationalität Sequenzen, einer eher ensembleartigen Zusammenstellung von visuellen und akustischen Impressionen, vielfältig und in ihrer Deutungstiefe variabel. Ebenso lassen sich in der Darstellung der unterschiedlichen Naturen, der ersten mineralischen als auch der zweiten, menschlichen Natur, Verhältnisse von Naturgeschichte und allegorischen Formen analog zu den Schriften Walter Benjamins erkennen. Für den Betrachtenden sind die als Bildraum gekennzeichneten Bereiche und die sich darin befindlichen mineralischen und organischen Kräfte, der Bereich in welchem die Grenze zur Welt-ohne-uns in seinen furchterregenden und doch auch anziehenden Aspekten zu erleben ist, von Norbert P. Franz als das Tremendum und das Fascinans benannt.  Sie ermöglichen die Erfahrung des Numinosen, welches aus genau den zwei Zutaten besteht, dem Tremendum sowie dem Fascinans. Und so stimmt man Eugene Thacker mit dieser Aussage darin überein, wenn er schreibt, „das Numinose ist die Grenzerfahrung des Menschen in der  Konfrontation mit der Welt als etwas absolut Nichtmenschlichem, der Welt als dem  >>Ganz anderen<<, dem, was im unsagbaren Geheimnis über aller Kreatur ist.“

Raphael Nocken

(Benjamin-Novalis) Hofmann führt in seinen Bildern einen existentialistisch anmutenden Kampf um die Malwelt. Abstrakt oder figürlich, farbig oder unfarbig, glänzend oder matt – und das alles nebeneinander oder miteinander. Richtungsweisende Fragen an die Malerei und letztendlich an sich selbst.
Als vorläufiges Ergebnis zeigt uns Hofmann ein ehrgeiziges Durchdringen üblicher Malgrenzen und Genres.
Motivisch gibt er uns ikonographische Rätsel auf.

Bei den Titulaturien der Bilder handelt es sich meist um literarische Versatzstücke, die aus Gedichten oder Romanen entlehnt sind.
Dienen sie dazu, die Bilder zu erklären, oder
sollen sie nur weitere Ebenen innerhalb seiner Bildwelt eröffnen?
Unwichtig, da hier eindeutig sein malerischer Eigensinn dominiert.
Hier liegen die Qualitäten.

Hofmann läßt malerische Tradition nicht nur an sich heran, er kombiniert sie, die Kombination gerät zur Montage.
Seine Malerei ist derart mehrschichtig, dass man glaubt, Hofmann wolle unbedingt kein homogenes konsequentes Werk produzieren.

Gerade in der Kontinuität dieses Bemühens
entsteht eine erstaunliche Konsequenz, die alle Phasen und dialektischen Sprünge seiner Tätigkeit den gemeinsamen Nenner gibt.
Dieser Standpunkt einer malerischen Erforschung verrät eine gewisse Hybris und Besessenheit. Sein Antrieb zur Sublimierung, zur Konzentration auf die Malerei, führt tatsächlich zu höchst eigenständigen Arbeiten.
Innerhalb eines Bildes finden bei Hofmann
Annährungen an alle Bilder statt. Vielleicht
ursprünglich nur als Kompromiß angelegt, entwickeln sich seine malerischen Schichten zu einem autonomen Werk.

Besonders dominiert dabei die Farbe. Oftmals schreiend intensiv, trägt sie neben den Formvariationen dazu bei, die Spannung im Bild zu halten.
In ihrer Wirkung sind die Bilder ungemein lebendig.
Auf der Suche nach einem eigenständigen
ästhetischen Gebilde hat sich Hofmann auf die Frage alles oder nichts eingelassen.
Er hat sich für alles entschieden …

Peter H. Forster – erschienen in
„Bis ans Ende der Welt“, Verlag Revolver